“Wie finden wir unsere ukrainische Partnerkommune? Vom Brainstorming zur Umsetzung.”
Im Projekt „Reallabor Kommunaler Aufbaupartnerschaften NRW-Ukraine“ bietet die Netzwerkstelle Städtepartnerschaften der Auslandsgesellschaft.de e.V. engagierten Kommunen und Kreisen in NRW eine Plattform zu Austausch und Vernetzung bei ihrer Ukraine-Hilfe. Bei der Auftaktveranstaltung in Präsenz Ende März 2023 standen eine Reihe von Kommunen und Kreise bei ihrem Suchprozess nach einer ukrainischen Partnerkommune noch ganz am Anfang. Um dabei Orientierung und Unterstützung zu bieten, ging es bei der digitalen Informationsveranstaltung “Wie finden wir unsere ukrainische Partnerkommune? Vom Brainstorming zur Umsetzung” am 07. Juni 2023 um die Strategie hinter neuen Städtepartnerschaften mit der Ukraine.
Nach einer herzlichen Begrüßung der Teilnehmenden ging daher Dr. Kai Pfundheller, Leiter der Netzwerkstelle Städtepartnerschaften, neben einer kurzen Vorstellung des Projekts insbesondere auf die vier großen Fragen ein, die sich jede Kommune vor der Aufnahme neuer partnerschaftlicher Beziehungen stellen sollte.
Am Anfang steht dabei das Warum, die Motive einer Kommune, eine neue Partnerschaft einzugehen. Dominierten zur Anfangszeit der städtepartnerschaftlichen Bewegung nach dem Zweiten Weltkrieg Motive wie Völkerverständigung und Friedenssicherung, sind über die Jahrzehnte wichtige weitere Motive hinzugekommen: die Europäische Integration spielt eine große Rolle, aber auch der Verwaltungs- und Fachaustausch, Fragen von Bildung und Demokratieförderung oder auch – verstärkt in jüngster Zeit – Entwicklungszusammenarbeit mit dem Globalen Süden und der Themenkomplex der Nachhaltigkeit. Für die neuen Partnerschaften mit der Ukraine steht seit der russischen Offensive im Februar 2022 aufgrund der fortgesetzten Angriffe durch russische Truppen natürlich vor allem die humanitäre Hilfe und perspektivisch die Wiederaufbauhilfe im Vordergrund. Darüber hinaus gilt es jedoch gegebenenfalls weitere Perspektiven der Zusammenarbeit in den Blick zu nehmen, und welche Erwartungen von Seiten der deutschen Kommune damit verbunden sind.
Die zweite Frage widmet sich dem Womit, den Ressourcen einer Partnerschaft zu. Dazu zählen politischer Wille und persönliche Kontakte, aber auch bestehende oder mögliche Zusammenarbeit im wirtschaftlichen Bereich, und natürlich das Engagement unterschiedlichster Gruppen der Zivilgesellschaft. Unbedingt empfehlenswert ist dabei eine Bestandsaufnahme der bestehenden Verbindungen in die mögliche Partnerstadt, ihr Umland und das Partnerland.
Die dritte Frage betrifft den künftigen Partner und fokussiert auf die Gründe, warum es genau diese Partnerkommune sein soll. Hier sollten die gemeinsamen Herausforderungen, Projekte und Ziele für die langfristige Perspektive in den Blick genommen werden. Welche Gemeinsamkeiten – struktureller oder sonstiger Art – verbinden die eigenen Kommune bereits heute mit der künftigen Partnerkommune? Welche Rahmenbedingungen gibt es dafür auf beiden Seiten, und wie kann man bei der Partnersuche vorgehen?
Eng mit allen drei vorigen Fragen verknüpft ist die Frage des Wohin, nämlich der Strategien zum Umsetzen der Zielvision.
–> Präsentation der Netzwerkstelle Städtepartnerschaften
Den praxiserprobten Blick hinter die Kulissen einer neuen kommunalen Verbindung mit der Ukraine lieferte im Anschluss Tobias Püllen, Leiter des Bürgermeisterbüros der Stadt Hürth.
Seit 1966 pflegt die Stadt Hürth (ca. 60 000 Einwohner) internationale Partnerschaften – mittlerweile mehr als ein halbes Dutzend. Dabei standen die Partnerschaften mit den Nachbarn Niederlande, Großbritannien und Frankreich am Anfang, gefolgt von denen mit Polen, der Türkei und Kenia. Hürth suchte seine internationalen Partner dabei möglichst danach aus, ob sie ein ähnliches Profil hatten wie Hürth: eine kleinere Nachbarstadt einer industriellen Großstadt. So liegt z.B. die französische Partnerstadt Argèles-sur-Mer bei Perpignan, die niederländische Partnerstadt Spijkenisse bei Rotterdam, und die polnische Partnerstadt Skawina ist eine Industriestadt im Umland von Krakau in Polen. Außerdem hat Hürth Erfahrung mit Ringpartnerschaften: bereits bestehende Verbindungen bisheriger Partnerstädte werden gern als mögliche Partner gesehen. So ist Skawina seit 2004 etwa mit der britischen Partnerstadt Hürths, Thetford, verbunden, Thetford wiederum mit Spijkenisse. Strukturelle Gemeinsamkeiten stellen sicher, dass gemeinsame Interessen, Herausforderungen und Projektansätze vorhanden sind. Neue Partner über die Vermittlung langjähriger guter Partner kennenzulernen, fördert das Vertrauen und die erfolgreiche Zusammenarbeit. So kam der erste Kontakt des Bürgermeisters von Hürth mit dem Bürgermeister der neuen ukrainischen Partnerstadt Peremyshlyany zustande, als die polnische Partnerstadt Skawina ihr zehnjähriges Partnerschaftsjubiläum mit Peremyshlyany beging. Darauf folgte ein intensiver Austausch beider Verwaltungen und Feuerwehren, mehrere Gegenbesuche sowie einige Projekte, die mit Unterstützung der SKEW gemeinsam durchgeführt und auf den Weg gebracht wurden. Auch Peremyshlyany ist in der Nachbarstadt einer Großstadt gelegen: die westukrainische Stadt liegt südöstlich der Oblasthauptstadt Lemberg. (Weitere Informationen zu der Partnerschaft hier: https://staedtepartnerschaftennrw.org/bericht-9-forum-staedtepartnerschaften-nrw).
In Hürth kümmert sich ein Partnerschaftsverein um den zivilgesellschaftlichen Bereich der Partnerschaft. Eine solche zivilgesellschaftliche Säule wünscht sich die Stadt auch bei ihren Partnern – so hat Peremyshlyany ebenfalls einen Partnerschaftsverein gegründet, in welchem auch Mitglieder von Feuerwehr und Stadtrat vertreten sind. So gibt es wichtige Schnittstellen zwischen Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft. Auch der Partnerschaftsvertrag mit Peremyshlyany wurde im Herbst 2021 nicht nur von den Bürgermeistern unterzeichnet, sondern auch von den Vorständen der Partnerschaftsvereine. Von Anfang an wurden gemeinsame Interessen identifiziert – etwa Projekte im Bereich von Wasserversorgung, Infrastruktur oder Kliniken. All die erwähnten Schritte, sowie Anbahnungsreisen, Workshops zu den möglichen gemeinsamen Projekten, etc. bauten aufeinander auf und stellten sicher, dass die Partnerschaft inhaltlich gut vorbereitet und alle wichtigen Akteure „mit an Bord“ waren. Die systematische und gründliche Vorbereitung war Gold wert, als im Februar 2022 der Überfall Russlands auf die Ukraine erfolgte. Innerhalb kürzester Zeit konnte Hilfe organisiert, auf bestehende Strukturen aufgebaut und über die Brücke der Partnerstadt Skawina sehr schnell in die Ukraine verbracht werden. Bis heute steht Hürth mit vielen Aktionen und Spenden fest an der Seite Peremyshlyanys.
–> Präsentation der Stadt Hürth
Darüber hinaus hatte Tobias Püllen im Rahmen der Porträtserie der NRW-ukrainischen Partnerschaften des „Reallabors Kommunaler Aufbaupartnerschaften NRW – Ukraine“ ein Interview gegeben.
–> Porträt der Partnerschaft Hürth – Peremyshlyany
Sowohl der Rat der Gemeinden und Regionen Europas (RGRE) wie auch die Servicestelle Kommunen in der Einen Welt von Engagement Global (SKEW) bieten Angebote und Hilfestellung bei der systematischen Suche und Vorbereitung von Städtepartnerschaften, insbesondere in der aktuellen Situation, wo zahlreiche ukrainische Kommunen auf internationale Unterstützung angewiesen sind.
Lyudmyla Dvorkina stellte den RGRE / Deutsche Sektion vor:
Der Rat der Gemeinden und Regionen Europas (RGRE) ist der historischen Partnerschaftsbewegung eng verbunden. Er bietet daher verschiedene Instrumente an, um die kommunale Partnerschaftsarbeit zu unterstützen. Dazu gehört insbesondere sein Twinning-Portal, über das bestehende Verbindungen sowie auch Gesuche aus dem Ausland, u.a. auch nach Partnern für gemeinsame EU-Projekten, eingesehen werden können. Zudem organisiert der RGRE Veranstaltungen mit internationalem Bezug und veröffentlicht Informationen. Der RGRE-Deutsche Sektion arbeitet eng zusammen mit den Kommunalen Spitzenverbänden in Deutschland, dem CEMR Dachverband, dem Ausschuss der Regionen (insbesondere der European Alliance of Cities and Regions for the Reconstruction of Ukraine/CoR), sowie der Servicestelle Kommunen in der Einen Welt von Engagement Global (SKEW) und weiteren Akteuren.
–> Präsentation RGRE
Olena Ovcharenko, Projektleiterin Kommunale Partnerschaften mit der Ukraine, stellte die Servicestelle Kommunen in der Einen Welt von Engagement Global (SKEW) vor:
Als Akteur der deutschen Entwicklungszusammenarbeit unterstützt die SKEW seit 2015 im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung deutsch-ukrainische Kommunalbeziehungen. Mit einem Team sowohl in Deutschland als auch – dank Kooperationspartnern wie GIZ und Konrad-Adenauer-Stiftung – in der Ukraine ist die SKEW in beiden Ländern präsent. Das Netzwerk hat sich insbesondere infolge des russischen Angriffskriegs auf derzeit 156 deutsche und 132 ukrainische Kommunen vergrößert. Mit aktuell 33 Partnerschaften liegt NRW dabei auf vorderster Stelle unter den deutschen Bundesländern. Dabei gibt es eine Vielzahl unterschiedlicher Partnerschaftsformate – neben den kommunalen Partnerschaften gibt es etwa subregionale (etwa zwischen Kreisen / Rayons), regionale (etwa zwischen Bundesländern /Oblasten), internationale und fachliche wie Betreiber-, Klinik-, oder Projektpartnerschaften. Unterstützung stellt die SKEW in Form von Netzwerktreffen, Projekt- und Personalförderung, Beratung und Koordinierung zur Verfügung. Bei der Anbahnung von Partnerschaften insbesondere kann die SKEW behilflich sein – sie steht dazu auch im engen Austausch mit den ukrainischen kommunalen Spitzenverbänden, dem Verband ukrainischer Städte sowie dem Verband von Oblasten und Rayons in der Ukraine.
–> Präsentation SKEW
Im Anschluss an die Beiträge entspann sich eine lebhafte Diskussion unter den Teilnehmenden und den Referent*innen, in deren Verlauf individuelle Fragen beantwortet und Kontakte ausgetauscht werden konnten.
Über uns
Die Festigung der Städtepartnerschaften in Nordrhein-Westfalen gemeinsam mit Kommunen und Zivilgesellschaft steht im Mittelpunkt unseres Projekts.