Veranstaltungsbericht Konferenz “Kommunale Außenpolitik im Kontext der Ukraine-Hilfe”

Alle Fotos soweit nicht anders vermerkt © Staatskanzlei Nordrhein-Westfalen / Robin Teller.

Seit Beginn des großangelegten Angriffskriegs Russlands gegen die Ukraine im Februar 2022 unterstützen viele Kommunen in Nordrhein-Westfalen im Rahmen von Solidaritätspartnerschaften Kommunen in der Ukraine.

Wie funktioniert eine Zusammenarbeit im Krieg und wie können Kommunen über die akute Direkthilfe hinaus zum Wiederaufbau der Ukraine beitragen? Vor welchen Herausforderungen und Chancen stehen kommunale Partnerschaften mit der Ukraine?

Um diese Fragen gemeinsam mit den Vertreterinnen und Vertretern nordrhein-westfälischer Kommunen sowie zahlreichen Expertinnen und Experten zu diskutieren, lud die Auslandsgesellschaft.de e.V. Dortmund gemeinsam mit der Staatskanzlei Nordrhein-Westfalen am Mittwoch, 8. November 2023 in die Staatskanzlei NRW in Düsseldorf zu einer Konferenz zum Thema „Kommunale Außenpolitik im Kontext der Ukraine-Hilfe“ ein.

Seit Anfang 2023 bietet im Rahmen des von der Staatskanzlei NRW geförderten Projekts „Reallabor Kommunaler Aufbaupartnerschaften NRW – Ukraine“ die Netzwerkstelle Städtepartnerschaften der Auslandsgesellschaft.de e.V. eine Begleitung für NRW-ukrainische Partnerschaften an. Als Teil des Projekts richtete sich die Konferenz an NRW-Kommunen und -Kreise mit ukrainischer Partnerschaft bzw. Interesse an einer solchen sowie an Multiplikatoren. Zahlreiche Landkreise und Kommunen von der Gemeinde bis zur Großstadt folgten der Einladung, ebenso wie die Landschaftsverbände und kommunale Spitzenverbände, sowie Ehrenamtliche aus Städtepartnerschaftsvereinen und der in der Ukraine-Hilfe engagierten Zivilgesellschaft.

Grußworte

In seinem Grußwort sprach Klaus Wegener, Präsident der Auslandsgesellschaft.de e.V., seinen Dank aus an alle, die die Konferenz ermöglicht hatten, und die sich in der Hilfe für die Ukraine engagieren. Auch Iryna Shum, Generalkonsulin der Ukraine in Düsseldorf, dankte in ihrem Grußwort allen Engagierten, den Kommunen wie den Ehrenamtlichen. Sie erinnerte daran, dass sich die Zahl der Städtepartnerschaften mit der Ukraine in Nordrhein-Westfalen von sechs im Februar 2022 auf heute 36 versechsfacht hat, und welche große Bedeutung diese Unterstützung habe, für ihre Landsleute in der Ukraine, aber auch für die, die vor dem Krieg zu uns nach Nordrhein-Westfalen geflüchtet sind. Sie hob die große Unterstützung durch das Land Nordrhein-Westfalen selbst hervor, auch, aber nicht nur durch die seit Februar 2023 bestehende Regionalpartnerschaft mit der Oblast Dnipropetrowsk.


Impuls „Die Bedeutung der nordrhein-westfälisch – ukrainischen Städtepartnerschaften“

Nathanael Liminski, Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten, Internationales sowie Medien des Landes Nordrhein-Westfalen und Chef der Staatskanzlei, betonte die Wertegemeinschaft mit der Ukraine, und ihre Bedeutung für die europäische Sicherheitsarchitektur. Putin habe sowohl den Mut der Ukrainer als auch die Solidarität Europas unterschätzt. Liminiski legte den Schwerpunkt auf die beiden Kernbotschaften zum einen der kommunalen Hilfe, die beispielhaft stehe für diese Verbundenheit in der Not und beim Wiederaufbau eine wichtige Rolle spielen sollte. Zum anderen erinnerte er daran, dass die Solidarität weitergehen müsse. Dazu leistet das Land Nordrhein-Westfalen bereits von Beginn an seinen Beitrag – mit Hilfslieferungen, der Aufnahme von Geflüchteten, der eigenen Regionalpartnerschaft mit Dnipropetrowsk und durch die Unterstützung der nordrhein-westfälischen Kommunen und Kreise mit Partnerschaften in der Ukraine. Mit einer großen Wirtschaftskonferenz zum Wiederaufbau hat Nordrhein-Westfalen zudem bereits im März 2023 die großen Herausforderungen in den Blick genommen, die bereits jetzt angegangen werden müssen. Auch wurden eigene Förderprogramme für Projekte mit der Partnerregion ins Leben gerufen


Zwischenbilanz „Reallabor Kommunaler Aufbaupartnerschaften NRW – Ukraine“

Dr. Kai Pfundheller, Leiter des Instituts für Politische Bildung der Auslandsgesellschaft.de e.V. und der Netzwerkstelle Städtepartnerschaften, zog eine Zwischenbilanz des von der Staatskanzlei Nordrhein-Westfalen geförderten Projekts „Reallabor kommunaler Aufbaupartnerschaften NRW-Ukraine“. Das Projekt war im Januar 2023 an den Start gegangen, um NRW-Kommunen eine Plattform für den Austausch zur Anbahnung und Ausgestaltung kommunaler Partnerschaften mit der Ukraine zu bieten. Das Ziel dabei: die Kommunen durch die Vermittlung von Wissen und Erfahrungen zu befähigen, neue Partnerschaften zu begründen bzw. innerhalb bereits bestehender Partnerschaften wirkungsvolle Direkthilfe und Unterstützung beim Wiederaufbau zu leisten. In den monatlich organisierten informellen Austauschrunden und Expertenveranstaltungen zu spezifischen Themengebieten tauschen sich die Verwaltungsmitarbeitenden über spezifische Fragen und Projekte aus und schaffen so zahlreiche Synergien.

Nach den ersten Monaten lassen sich dabei eine Reihe von Gelingensfaktoren feststellen: Die Unterstützung bzw. die Initiative durch die Stadtspitze wird überall als ein Schlüsselfaktor für erfolgreiche Partnerschaften gesehen, ebenso wie eine breite Unterstützung durch die örtliche Zivilgesellschaft. Wo Partnerschaften gelingen, ist dies mit einer sehr guten Zusammenarbeit zwischen Stadtverwaltung und organisierter Zivilgesellschaft zu verdanken. Dabei ist eine begleitende Medienarbeit von großer Bedeutung. Vielfach sind ukrainische Geflüchtete und / oder NRW-Bürger*innen mit ukrainischer Familiengeschichte auch in der Partnerschaft aktiv – ihre Einbeziehung bedeutet einen großen Gewinn hinsichtlich Fragen von Vernetzung, Übersetzung und Logistik. Herausforderungen sind für manche Partnerschaften die schwieriger werdende finanzielle Situation und damit unzureichende Personalkapazitäten. Viele Partnerschaften streben eine langfristige Verbindung an und legen bereits jetzt die Grundlagen dafür, indem sie die Partnerschaft auf viele Fachbereiche, gesellschaftliche Gruppen, Institutionen und Vereine ausweiten. Die herausragende intrinsische Motivation der Engagierten kann als Schlüsselfaktor für das Bestehen der Partnerschaften gesehen werden – zur Aufrechterhaltung dieser Motivation bedarf es jedoch gefestigter Strukturen und externer Unterstützung. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Krieg gegen die Ukraine noch längere Zeit dauern könnte, ist daher ein langer Atem, die Information von Bürgerinnen und Bürgern, die öffentliche Anteilnahme, die Einwerbung von Spenden und die Aktivierung von Ehrenamtlichen weiterhin sehr wichtig.


Impuls: „Die Rolle der Kommunen und der internationalen Kommunalen Zusammenarbeit für den Wiederaufbau in der Ukraine“

Der Impuls von Thomas Kleine-Brockhoff, Guido Goldman Distinguished Scholar des German Marshall Fund, nahm zunächst die internationale Perspektive auf den Krieg in der Ukraine ein. So ginge es derzeit um verschiedene Elemente der Hilfe – zum einen die akute Nothilfe, zum anderen aber auch bereits heute um die für den Wiederaufbau notwendige Makrofinanzierung. Dabei müsse die Ukraine über einen bloßen Wiederaufbau der bisherigen Strukturen eine Vorstellung davon entwickeln, welche gesellschaftlichen und infrastrukturellen Weichen sie für die Zukunft stellen wolle, und wie die Vorbereitung des angestrebten Beitritts zu einer bereits hoch integrierten Europäischen Union zeitgleich in Angriff genommen werden könne. Dann erst könne das Schlagwort des „build back better“ seine volle Durchschlagskraft entwickeln.

Mit einem Rückblick auf den historischen Marshall-Plan für Deutschland und Europa nach dem Zweiten Weltkrieg machte Kleine-Brockhoff auf Parallelen, aber auch auf die Unterschiede der heutigen Situation zur damaligen aufmerksam. So habe damals ein einziger Geber, die USA, seine Unterstützung einer Reihe von europäischen Staaten zuteil werden lassen – heute hingegen müsse sich eine Vielzahl von Geber koordinieren, um eine sinnvolle Verwendung der Mittel in der Ukraine zu gewährleisten. Anders als damals gebe es heute eine Fülle wohl etablierter internationaler Institutionen und bewährter Aufbauinstrumente. Anders als damals würden heute zudem Kommunen und Zivilgesellschaft beim Wiederaufbau als wichtige Akteure mitgedacht. Anders als damals handele es sich heute dabei nicht um eine Staatsinitiative, sondern um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, bei der auch die Philanthropie ihren Platz habe. Besonders wichtig sei jedoch, sich in Erinnerung zu rufen, dass der historische Marshall-Plan durchaus auch dem wohlverstandenen Eigeninteresse des damaligen Gebers gedient habe, und dies auch heute bei der geplanten Integration der Ukraine in europäische und transatlantische Strukturen der Fall sei.

Mit Blick auf die Zukunft schlug Kleine-Brockhoff den Bogen von der ersten Geberkonferenz in Lugano 2022 bis zur Situation heute und der geplanten Geberkonferenz in Berlin 2024. Instrumente zur Schadenserhebung, eine Geberkoordination durch die G7, die Zusage von bilateralen mehrjährigen Hilfen von mehreren Ländern und damit Institutionen und Pfade für den Wiederaufbau seien bereits vorhanden. Auch die Ukraine habe zahlreiche Reformen in allen notwendigen Bereichen angepackt. Was fehle, sei jedoch die Sicherheit, die es für einen Wiederaufbau brauche – und dabei müsse man von einem verschränkten Sicherheitsbegriff ausgehen: ohne Sicherheitsgarantien seien keine wirtschaftliche Erholung, aber ohne wirtschaftliche Erholung auch keine langfristige Sicherheit möglich. So sei die Perspektive des NATO-Beitritts der Ukraine unter sicherheitspolitischen Aspekten wichtig, der EU-Beitritt als Anker für künftige Prosperität.

Zuletzt wendete sich Kleine-Brockhoff der kaum zu unterschätzenden Rolle der Kommunen zu: sie hätten unglaubliche Zerstörung erfahren, müssten nun allerdings zur „Absorptionsfähigkeit“ der internationalen Hilfe für die gesamte Ukraine dennoch einen großen Beitrag leisten. Dazu sei eine breite Anstrengung unabdingbar, mit auf die Bedarfe der Kommunen angepassten Instrumenten, wie etwa dem Zugang zu eigenen Finanzmitteln. Auf die enge Verknüpfung dieses Aspekts mit den Reformen in Richtung Subsidiarität und Dezentralisierung machte Kleine-Brockhoff aufmerksam, und die Auswirkungen des aktuell geltenden Kriegsrechts. Kommunale und regionale Partnerschaften hätten daher eine besondere Rolle zu spielen.


Podiumsdiskussion

Zahlreiche der von Thomas Kleine-Brockhoff angesprochenen Aspekte konnten in der Podiumsdiskussion, moderiert von Wolfram Kuschke, Staatsminister a.D., Kuratoriumsvorsitzender der Auslandsgesellschaft.de e.V., ehrenamtliche Leitung der Netzwerkstelle Städtepartnerschaften, aufgegriffen und weiterdiskutiert werden.

So gingen Iryna Shum, Dr. Kai Pfundheller, Thomas Kleine-Brockhoff und Miriam Kosmehl, Senior Expert Eastern Europe and EU Neighbourhood Programm Europas Zukunft, Bertelsmann Stiftung insbesondere auf die Rolle der ukrainischen Geflüchteten ein. Welche Herausforderungen für eine Migrationspolitik der Ukraine bedeutet die Notwendigkeit einer Rückkehr der Geflüchteten, welche Voraussetzungen sind dazu nötig? Was können Kommunen in NRW und ihre Partner in der Ukraine hierbei leisten, bereits heute, da 65 Prozent der ukrainischen Geflüchteten angeben, kurz- oder mittelfristig in die Ukraine zurückkehren zu wollen? Über die bereits heute sehr stark aufgestellte ukrainische Zivilgesellschaft sowohl in der Ukraine als auch in der Diaspora und ihre Potentiale sprach Miriam Kosmehl, die als ehemalige Büroleiterin der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Ukraine und Belarus viele Jahre in der Ukraine gelebt hat. Städtepartnerschaften können hierbei eine wertvolle Netzwerkrolle einnehmen.


Starke Partner für Kommunen: die Privatwirtschaft in der Ukraine-Hilfe

Robert Butschen von der IHK Düsseldorf und Experte für Internationale Märkte und den Schwerpunkt Ukraine sowie Elena Matekina, Ukraine-Expertin von NRW.Global Business, lieferten die Perspektive der Wirtschaft auf die Lage der Ukraine. Im komprimierter Form gaben sie einen Überblick über die Entwicklung der privatwirtschaftlichen Kontakte aus Nordrhein-Westfalen mit der Ukraine und eine Perspektive auf künftige Entwicklungspfade.

Nordrhein-Westfalen beherbergt eine große Zahl ukrainische Unternehmen und war bereits vor dem russischen Angriff eines der wenigen Bundesländer, die starke wirtschaftliche Aktivitäten mit der Ukraine hatte. Erst im 2021 war eine Partnerschaft im Bereich Digitalisierung unterzeichnet worden. Schwerpunkte der Aktivitäten liegen in den Bereichen digitale Technologien, Luft- und Raumfahrt sowie Energie (einschließlich Wasserstoff).

Als Schwerpunktkammer für die Ukraine in NRW ist die IHK Düsseldorf Ansprechpartnerin für Unternehmen, die ein Geschäft mit der Ukraine haben oder beabsichtigen, dies aufzubauen. Auf ihrer Website bietet sie Informationen und nützliche Links. So etwa Hinweise, wie Unternehmen praktische Hilfe durch gezielte Sachspenden leisten können, Basisinformationen und Merkblätter zur Ukraine, Informationen dazu, welche unternehmerischen Chancen Investitionen in die Ukraine darstellen können, welche Unterstützung die Bundesregierung dafür bereitstellt, und schließlich auch Hilfe bei der Geschäftspartnersuche.

Die landeseigene Außenwirtschaftsförderungsgesellschaft NRW.Global Business unterstützt ausländische Unternehmen bei Investitionsprojekten und der Ansiedlung in Nordrhein-Westfalen und heimische bei der Erschließung von Wachstumsmärkten sowie der Vernetzung mit internationalen Geschäftspartnern. NRW.Global Business bietet Informationen und Unterstützungsangebote für NRW-Unternehmen mit Geschäftsverbindungen in die Ukraine, die von den Auswirkungen des Kriegs betroffen sind und koordiniert Unterstützungsangebote aus NRW für die Unternehmen, sich an den Wiederaufbau-Maßnahmen in der Ukraine beteiligen wollen.

Trotz mehrerer Beispiele in NRW, bei denen NRW-Unternehmen verschiedene Kommunen bei deren Engagement für die Ukraine tatkräftig unterstützen, wird die Frage der wirtschaftlichen Zusammenarbeit entlang der eigenen Städtepartnerschaft bislang von Seiten der Kommunen wie der Firmen bislang noch wenig zusammengedacht. Dabei seien die Potentiale dieser Verbindung hoch, insbesondere mit Blick auf einen Wiederaufbau, so Matekina und Butschen.


Informationsstand zum Förderprogramm „Wiederaufbauprojekte NRW-Dnipropetrowsk (Ukraine)“

Während des Mittagsimbiss hatten die Teilnehmenden Gelegenheit, sich an einem Informationsstand von Engagement Global über das neue Förderprogramm „Wiederaufbauprojekte NRW-Dnipropetrowsk (Ukraine)“ zu informieren. Mit diesem Förderprogramm unterstützt die Landesregierung kommunale und zivilgesellschaftliche Akteure, die sich mit ihrer Expertise und ihren Erfahrungen in den Wiederaufbauprozess einbringen wollen. Die Antragstellung erfolgt über die Außenstelle Düsseldorf von Engagement Global.


Thematische Arbeitsgruppen 

Nach den rahmensetzenden Beiträgen und Diskussionen des Vormittags, bei denen die Handlungsmöglichkeiten, Rolle und künftige Bedeutung von Kommunen in der Ukraine-Hilfe heute sowie auch bei einem künftigen Wiederaufbau im Mittelpunkt standen, fokussierten die thematischen Arbeitsgruppen am Nachmittag auf verschiedene Bereiche der Zusammenarbeit, um Städtepartnerschaften nach ihrer Aufbruch- und Gründungsphase auf breite Füße zu stellen und gesamtgesellschaftlich zu verankern. Im Blickpunkt dabei: die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen politischen Ebenen, die zivilgesellschaftliche Zusammenarbeit und die Zusammenarbeit kommunaler Betreiberpartnerschaften.


Workshop 1 : Bund, Land, Kreis und Kommune: Zusammenarbeit in der Ukraine-Hilfe in NRW

Unter der Moderation von Wolfram Kuschke entspann sich ein lebhafter Austausch zwischen Winfried Mengelkamp, Gruppenleiter Internationale Angelegenheiten in der Staatskanzlei Nordrhein-Westfalen, Thomas Kufen, Oberbürgermeister der Stadt Essen und Vorsitzender des Städtetages Nordrhein-Westfalen sowie Kurt-Michael Baudach, Abteilungsleitung Kommunalpartnerschaften Länder und Regionen, Servicestelle Kommunen in der Einen Welt von Engagement Global.

Aus der Perspektive einer Großstadt berichtete Oberbürgermeister Kufen davon, wie die Stadt Essen – wie eine Reihe weitere Kommunen mit einer Partnerschaft nach Polen (davon gibt es in NRW rund einhundert) bei Kriegsbeginn ihre Verbindungen zur polnischen Partnerstadt Zabrze in Schlesien nutzen konnte, um Hilfsgüter über diese in deren langjährige ukrainische Partnerstadt Riwne zu bringen. So entstand auch im Mai 2022 eine Solidaritätspartnerschaft zwischen den Städten Essen und Riwne. Angesichts der zahlreichen Krisen dieser Welt wünschte sich Kufen „eine zweite Stadtverwaltung“, um sich neben den bereits ausreichend herausfordernden Alltagsgeschäften seiner Stadt auch den internationalen Krisen widmen zu können, die in vielfacher Weise natürlich auch Auswirkungen auf die eigene Stadt haben. Trotz personeller und finanzieller Engpässe warb er dafür, in den Kommunen weiterhin internationale Verantwortung zu übernehmen, stellte die Möglichkeiten dafür vor, und lobte die herausragende Motivation und Bereitschaft seiner kommunalen Mitarbeitenden, sich hier einzubringen.

Auf Landesebene gab es bereits seit 2019 den Wunsch nach einer näheren Zusammenarbeit mit der Ukraine und die Perspektive einer regionalen Partnerschaft, so Winfried Mengelkamp. Dabei sei die Ukraine als Industrieland und keineswegs als Entwicklungsland wahrgenommen worden. Für die Partnerschaft mit NRW wurde mit der Oblast Dnipropetrowsk einer der wichtigsten Industrie- und Wissenschaftsstandorte der Ukraine ausgewählt, gewissermaßen „das Nordrhein-Westfalen der Ukraine“. Angesichts der Kriegsschäden und der Wiederaufbaubedarfe sei jedoch die jahrzehntelange Erfahrung NRWs und seiner Kommunen in der internationalen Entwicklungszusammenarbeit heute sehr wertvoll. Regionalpartnerschaften stellen für das Land NRW ein wichtiges Instrument dar, von Landesseite Signale zu setzen und kommunale Initiativen zu unterstützen. Die Landesmittel, auch wenn begrenzt, könnten so wichtige Projekte anstoßen.

Im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) unterstützt die SKEW, in dieser Runde vertreten von Kurt-Michael Baudach, bereits seit 2015 das Netzwerk „Deutsch-Ukrainischer kommunaler Partnerschaften“ mit verschiedenen Vernetzungs-, Beratungs- und Förderangeboten. Die Zahl der Partnerschaften hat sich seit dem Angriff auf die Ukraine bis heute verdreifacht, die jährliche Partnerschaftskonferenz zieht immer mehr Teilnehmende an, und auch das Förderinstrumentarium ist umfangreich. Aus dem Austausch mit der Bundesebene konnte Baudach berichten, dass das Interesse auf Bundesebene an den kommunalen Partnerschaften und Initiativen groß sei. Das Schlagwort der „urban diplomacy“ würde sowohl im Auswärtigen Amt als auch im BMZ stark diskutiert, und in beiden Ministerien mit eigenen Ansprechpartnern unterstützt. Das Auswärtige Amt fördere zudem seit 2021 über ein Pilotprojekt deutsche Städte und ihre Partnerstädte in den USA, Großbritannien und Italien.

Einig waren sich alle Panellisten darin, dass trotz begrenzter Mittel auf allen Ebenen und gelegentlicher Konfliktpunkte die Zusammenarbeit miteinander im Bereich und zur Unterstützung von Kommunalpartnerschaften sehr positiv sei. Vor dem Hintergrund des – nicht nur in der Ukraine – so wichtigen Dreiklangs aus kommunaler Daseinsvorsorge, Dezentralisierung und Demokratisierung sei das kommunale Engagement in Städtepartnerschaften kaum zu unterschätzen.

In der folgenden Diskussion mit dem Publikum wurde die ganze Bandbreite der kommunalen Möglichkeiten deutlich, aktiv zu werden. So müssen in der Partnerregion Dnipropetrowsk in der Ukraine die Frontverwundeten versorgt werden – nahe läge daher eine Zusammenarbeit von Rehabilitationszentren und Handwerksverbände, insbesondere im Bereich der Orthopädie. Neben der Zusammenarbeit von Betreibergesellschaft könnten Wohnungsbaugesellschaften einen wichtigen Beitrag leisten, auch Verkehrsverbünde und Energieversorger könnten ihre Erfahrungen austauschen. Dass auch die Möglichkeit, die eigene Kultur leben und erfahren zu können, zur kommunalen Daseinsvorsorge gehört, wurde deutlich bei der Frage der Erhaltung der Bestände der ukrainischen Museen und der Unterstützung ukrainischer Kunstschaffende in der Musik- oder Theaterbranche.

Ein besonders schönes Beispiel der Zusammenarbeit kam aus dem Landschaftsverband Rheinland. Dort wurde Mitte 2022 das Projekt des LVR-Ukraine-Euros ins Leben gerufen und 2023 erneut verlängert. Diese Spendengelder der LVR-Mitarbeitenden erreichen mittlerweile fast 55.000 €; monatlich kommen derzeit weitere 2.600 € hinzu. Anlass der Initiative war ein Bedarf an finanziellen Mitteln für die Hilfstransporte in die Partnerklinik in Kulparkov (Oblast Lviv). Basis des Engagements ist eine langjährige Kooperation und ein formales Partnerschaftsabkommen zwischen dem LVR-Klinikverbund mit dem Gesundheitsdepartment der Oblast Lviv.


Workshop 2: Kommunale Daseinsvorsorge in der Ukraine: der Beitrag kommunaler Unternehmen in NRW

Städtepartnerschaften mit der Ukraine sind „people to people business“, so eine zentrale Kernaussage dieser Arbeitsgruppe, moderiert von Dr. Kai Pfundheller. Um Projekte anstoßen und umsetzen zu können, ist die konkrete Ansprache von Interessierten zentral: man muss die Menschen aus der eigenen Kommune mit der Partnerkommune zusammenbringen. Kommunale Unternehmen spielen beim Wiederaufbau der Ukraine eine wesentliche Rolle, sowohl in der Organisation als auch im Erfahrungsaustausch. Denn die Wiederherstellung von Infrastruktur ist die Voraussetzung dafür, dass Menschen in der Ukraine weiterleben und ihren Alltag bewältigen können, bzw. die Geflüchteten eine Rückkehrperspektive haben. Dr. Andreas Hollstein, Geschäftsführer der Landesgruppe NRW des Verbandes kommunaler Unternehmen (VKU) e.V. und Elmar Thyen, WSW Wuppertaler Stadtwerke GmbH, Koordinator Water4Ukraine stellten die eigenen Erfahrungen, insbesondere in der Initiative Water4Ukraine vor. Dabei handelt es sich um eine Initiative des Smart City-Vereins Civitas Connect, der sich über 40 kommunale Partner sowie auch Privatpersonen angeschlossen haben – ein Bündnis, das sehr breit aufgestellt ist und nicht nur Unternehmen im Bereich der kommunalen Betreibergesellschaften umfasst.

Friederike Barthe-Carpentier vom Regionalbüro Ost der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH stellte die Betreiberplattform zur Stärkung von Partnerschaften kommunaler Unternehmen weltweit vor. Interessierte Anwärter für Betreiber- und Solidaritätspartnerschaften mit der Ukraine können hier Informationen, Beratung und Unterstützung finden und sich mit anderen Partnerschaften vernetzen. Auch für den Bereich Entsorgung gibt es immer mehr Partnerschaften. Dr. Pascal Beese-Vasbender, Technische Leitung beim Bergischen Abfallwirtschaftsverband, berichtete von der neuen Partnerschaft mit Poltawa in der Ukraine und zeigte nochmal sehr konkret, auf wieviel Ebenen ein solcher Austausch wertvoll sein kann, und wieviel Potential auch in Zukunft in einer Partnerschaft auf Augenhöhe liegt.

Fazit: Viele kommunale Unternehmen sind bereit, sich in der Ukraine zu engagieren. Dafür braucht es die konkrete Ansprache und die Unterstützung aus Politik und Verwaltung. Bei der Überwindung der Hürden und Herausforderungen bieten sowohl der VKU NRW als auch der VKU Bund, die GIZ und Engagement Global pragmatische Unterstützung. Wichtig ist, die Anfangseuphorie des Helfen-Wollens nicht verblassen zu lassen, sondern durch Strukturen zu untermauern. Es braucht Multiplikatoren vor Ort und das Engagement Einzelner, die Menschen in den Austausch bringen und zum Handeln inspirieren können.


Workshop 3 : Starke Partner für Kommunen: die organisierte Zivilgesellschaft in der Ukraine-Hilfe

Unter der Moderation von Marc Frese, Geschäftsführer der Auslandsgesellschaft.de e.V., diskutierten Panellisten und Teilnehmende hier den Beitrag der Zivilgesellschaft für die deutsch-ukrainischen Kommunalpartnerschaften.

Linda Mai, gebürtige Ukrainerin und langjährige Kölnerin, schilderte als Vorstandsvorsitzende vom Blau-Gelben Kreuz Deutsch-Ukrainischer Verein e.V., wie die Annexion der Krim durch Russland 2014 zur Gründung dieses Vereins geführt hatte, der anfangs Hilfslieferungen an Krankenhäuser organisierte und vom Krieg betroffenen Kindern Ferien in Deutschland ermöglichte. Innerhalb kürzester Zeit entwickelte der Verein sich seit 2022 zum logistischen Hub für Hilfslieferungen in die Ukraine. Mittlerweile gibt es Ausgründungen des Blau-Gelben Kreuzes in anderen Städten NRWs: der Verein teilt seine Expertise und Kontakte gern und großzügig mit allen, die an ihn herantreten.

Eine weitere und ungewöhnliche Perspektive auf die kommunale Ukraine-Hilfe bot der Mitgründer und Vorsitzender des Vereins Grenzenlose Wärme Refugee Relief Work e.V. Sebastian Heinze. „Grenzenlose Wärme – Refugee Relief Work e.V.“ ist ein studentischer Verein aus Dortmund, 2016 von Studierenden der Fachhochschule Dortmund ins Leben gerufen. Alle Gründungsmitglieder arbeiteten zu dem Zeitpunkt in der Flüchtlingsarbeit in Deutschland, oftmals auch ehrenamtlich. Aus der ursprünglichen Idee, die Hilfsorganisationen in Flüchtlingslagern an den EU-Außengrenzen durch Sachspenden und persönlichen Einsatz zu entlasten, wuchs in den letzten Jahren schnell das Projekt des Aufbaus eines Warehouses in Dortmund, um durch die Einlagerung von Hilfsgütern bei Bedarf schnell reagieren zu können. Grenzenlose Wärme unterhält eine enge Zusammenarbeit mit den Hilfsorganisationen im Ausland und kooperiert gleichzeitig mit Initiativen in Dortmund, so dass hier eine überaus agile und leistungskräftige Schnittstelle von lokalen zu internationalen Netzwerken entstanden ist und genutzt werden kann. 

Deutlich wurde in der Diskussion, wie sehr die Zusammenlegung der Kompetenzen der einzelnen Initiativen für alle von Nutzen sein kann, und wie wichtig daher Räume des Austauschs und der Begegnung sind, die solche Schnittstellen ermöglichen. So kann sich die Stadt Dortmund unter anderem auf die Logistik-Expertise des lokalen Vereins Grenzenlose Wärme stützen bei seinen Hilfslieferungen in die Partnerstadt Shytomyr, Köln sich auf seinen örtlichen Verein Blau-Gelbes Kreuz und Billerbeck auf seine Elterninitiative – aber auch aus dem Austausch zwischen den drei zivilgesellschaftlichen Organisationen können sich Synergien und Projekte ergeben, die letztlich allen Akteuren und damit auch der Ukraine zugutekommen.


Ergebnisse der Arbeitsgruppen und Schlusswort

Aus den Berichten aller Arbeitsgruppen wurde deutlich, wie wichtig die menschlichen Beziehungen, der Austausch untereinander und mit den Partnern ist. Mit einem Schlusswort von Wolfram Kuschke und dem Blick auf die Perspektive der europäischen Zusammenarbeit vor dem Hintergrund der vielen globalen Herausforderungen ging die Veranstaltung zu Ende.

Informationsmaterial

Programmbroschüre | Kommunale Außenpolitik im Kontext der Ukraine-Hilfe | Mittwoch 8. November 2023 | Staatskanzlei NRW

Präsentation Zwischenbilanz Projekt Reallabor Kommunaler Aufbaupartnerschaften NRW – Ukraine

Präsentation Kommunale Betreiberpartnerschaften der GIZ

Präsentation Blau-Gelbes Kreuz Deutsch-Ukrainischer Verein e.V.

Über uns

Die Festigung der Städtepartnerschaften in Nordrhein-Westfalen gemeinsam mit Kommunen und Zivilgesellschaft steht im Mittelpunkt unseres Projekts.

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