„Dabei, aber nicht beteiligt? – Partizipation von Jugendlichen heute“
In der sechsten Ausgabe unserer Veranstaltungsreihe standen die Jugendlichen im Mittelpunkt und die Frage, was junge Menschen heute bewegt, wofür sie sich engagieren, und in welcher Weise sie dies tun. Außerdem beschäftigte die Teilnehmenden die Frage, was dies für Rückschlüsse zulässt für die von vielen Seiten gewünschte Fortführung von Städtepartnerschaften durch die jüngeren Generationen.
Eingeladen für einen fachlichen Input war für diesen Abend Wibke Riekmann, Professorin für Theorie und Praxis in der Sozialpädagogik an der Medical School Hamburg. Professor Dr. Riekmann ist unter anderem Mitautorin des dritten Engagementberichts der Bundesregierung mit dem Titel „Zukunft Zivilgesellschaft: Junges Engagement im digitalen Zeitalter“. https://www.bmfsfj.de/resource/blob/156652/164912b832c17bb6895a31d5b574ae1d/dritter-engagementbericht-bundestagsdrucksache-data.pdf
Sie hat über viele Projekte für verschiedene Bundesministerien fachlich große Expertise gesammelt und ist bis heute stark in der Jugendarbeit engagiert.
Dass das Thema der Jugendbeteiligung die in städtepartnerschaftlicher Arbeit aktiven Ehrenamtler*innen und städtischen Angestellten stark beschäftigt, ließ sich an der regen Beteiligung der rund 40 Teilnehmenden ersehen.
Nach einer Begrüßung durch den Leiter der Netzwerkstelle Dr. Kai Pfundheller und einer kurzen Präsentation der Arbeit der Netzwerkstelle stieg Prof. Dr. Riekmann direkt ins Thema ein mit der Frage, wie denn heute Jugendliche allgemein in der Gesellschaft wahrgenommen würden.
Wahrnehmung der Jugendlichen in der Gesellschaft
Sie stellte dabei eine gewisse Widersprüchlichkeit fest, die auch auf die aktuelle Pandemielage zurückzuführen sei. So habe gerade die « Fridays for Future » – Bewegung die große Debatte der letzten Jahre angestoßen und dazu beigetragen, dass Jugendliche als engagiert, politisch und auch verantwortungsbewusst wahrgenommen würden.
Andererseits gibt es die weit verbreitete Auffassung, dass es sehr schwer sei, Jugendliche zu gesellschaftlichem und politischem Engagement zu bewegen. Während der Corona-Zeit sei die junge Generation auch teilweise als verantwortungslos wahrgenommen worden, z.B. hinsichtlich der Nichtbeachtung von Corona-Beschränkungen, so Prof. Dr. Riekmann. Ob die Stimme der Jugend und ihre Anliegen gehört werde, scheint also sehr mit der jeweils aktuellen Situation zusammenzuhängen und zudem sehr themenabhängig zu sein.
Eigenwahrnehmung der Jugendlichen und Studienergebnisse
Unter Bezugnahme auf weitere Jugendstudien wie etwa die 18. Shell Jugendstudie und weitere wissenschaftliche Publikationen stellte Prof. Dr. Riekmann heraus, dass – entgegen eines vielfach von Teilnehmenden geäußerten Eindrucks – Jugendliche heutzutage sehr wohl politisch interessiert und auch gesellschaftlich engagiert seien, sogar mit einem steigenden Trend seit den 2000er Jahren. Prägend sei dabei ihr Wunsch nach Teilhabe, Eigenverantwortung und Selbstbestimmung.
Laut einer repräsentativen Umfrage des Engagementberichts haben sich 64% der befragten 14- bis 28jährigen in den vorigen 12 Monaten für einen gesellschaftlichen Zweck eingesetzt. 64% dieser Engagierten sind in klassischen Organisationen aktiv, 30% in informellen Gruppen außerhalb von Organisationen, und 22% in online organisierten Gruppen ; mit diesen Zahlen kommt man auf insgesamt 116% – was bedeutet, das die Engagierten oft sogar auf verschiedene Arten gleichzeitig aktiv sind. Unabhängig von der Organisationsform stellte die Studie einen Zuwachs der Nutzung digitaler Medien und Werkzeuge für dieses Engagement fest. Wenn auch bislang zwar nur knapp 3 % der jugendlichen Engagierten ihr Engagement vollständig über Internet und soziale Medien ausüben, sind doch über 43% als « digital Engagierte » zu sehen – im Gegensatz zu etwa 57% „kaum digital Engagierten“.
Anstoß für das Engagement Jugendlicher & Rolle der Digitalisierung Der Anstoß für das Engagement ist laut der Studie zwar weiterhin primär auf Freund*innen (64%), Eigeninitiative (49%) oder persönliche Ansprache der jeweiligen Organisation bzw. Gruppe (40%) zurückzuführen, jedoch finden mit 21-23% fast ein Viertel der jungen Menschen den Einstieg ins gesellschaftliche Engagement über das Internet, sei es bei Diskussionen im Internet, den sozialen Medien oder generell bei der Nutzung des Internets. Digitalisierung ist für die heutige Jugend einfach ein unverzichtbares Tool für Information und Vernetzung.
Dies sind Zahlen, die für Vereine auf der Suche nach Nachwuchs besonders interessant sein dürften – zeigen sie doch die gewachsene Bedeutung digitaler Medien, aber auch digitaler Beteiligungsformate und der digitalen Welt überhaupt als weiterer Dimension der Lebenswirklichkeit junger Menschen zusätzlich zur analogen.
Und einen weiteren Hinweis liefern die Zahlen der Studie: die Gründe für die Internetnutzung im Engagement liegen häufig bei der Freiheit der Entscheidung für das wann und wofür des Engagements, und in der Unabhängigkeit vom Angebot analog bzw. vor Ort. So können Online-basierte Engagement-Angebote vor allem im ländlichen Raum jungen Menschen Zugang ermöglichen zu Engagement-Inhalten/ -möglichkeiten, die vor Ort nicht für sie verfügbar sind.
Gründe für das Engagement Jugendlicher & Rolle der Digitalisierung
Auch bei den Motiven für das Engagement gibt es Spannendes zu entdecken. So sind die drei Hauptmotive der bereits engagierten jungen Menschen die folgenden: „Es muss Spaß machen“; „Ich will meine Fähigkeiten einbringen können“ sowie „Es muss gemeinsam mit anderen Menschen stattfinden“. Junge Menschen, die (noch) nicht engagiert sind, sehen das ähnlich, haben aber ein starkes Bedürfnis danach, selbst bestimmen zu können, was und wann sie etwas machen. 82% der (noch) nicht Engagierten wünschen sich Unverbindlichkeit bei ihrem Engagement – demgegenüber haben nur 54% der bereits Engagierten diesen Wunsch nach Unverbindlichkeit. Für Vereine auf Nachwuchssuche könnte dies bedeuten, den Druck nach Verbindlichkeit zumindest am Anfang für potentiell interessierte Jugendliche möglichst gering zu halten.
Generell kann man aufgrund der Studienergebnisse die Schlussfolgerung ziehen, dass das gesellschaftliche Engagement in der jungen Generation nicht abnimmt, sondern lediglich über die Zeit seine Form ändert.
Beteiligung der Jugendlichen in der Gesellschaft
Ein weiterer Aspekt, so Riekmann, sei die Partizipation bzw. die Partizipations-möglichkeiten der Jugendlichen in der Gesellschaft. So stünde Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren formell kein Recht auf politische Partizipation zu – es gilt ein Alters- bzw. Mündigkeitsvorbehalt. Riekmann wies darauf hin, dass dieser Altervorbehalt mittlerweile von verschiedener Seite kritisiert werde, u.a. in der UN-Kinderrechtskonvention, und eine Debatte darüber in der Gesellschaft existiere. Wichtig sei dabei das Kriterium der Betroffenheit.
Anhand einer Skala zeigte sie auf, welche Unterschiede es zwischen einer „Schein-Partizipation“, einer informellen Beteiligung und schließlich einer formellen Mitbestimmung gebe und lud dazu ein, diese verschiedenen Teilhabemöglichkeiten und die eigene Haltung dazu bzw. die Haltung des eigenen Vereins zu reflektieren. Leitfragen könnten dazu sein, wer denn eigentlich Mitglied sei, wieviel Partizipation zugelassen werde, wie miteinander geredet würde und wer und wie entscheiden dürfe.
Rolle von Vereinen in der Gesellschaft
Gerade in Bezug auf Teilhabe und Mitbestimmung nehmen Vereine eine besondere Rolle als Vorreiter der Demokratie ein. Anders als Schule oder Beruf sind Vereine freiwillige Strukturen, die eine Kommunikation auf Augenhöhe zwischen den Mitgliedern erlauben. Transparenz nach innen wie nach außen durch die Veröffentlichung ihrer Aktivitäten sind zentral. Entscheidungen werden im Konsens oder durch Mehrheitsfindung herbeigeführt. Ihre gesellschaftliche Bedeutung ist daher kaum zu unterschätzen.
Anders als oft gedacht belegen die Zahlen des Bundesamts für Justiz im übrigen kein Vereinssterben, sondern im Gegenteil ein Wachsen der Zivilgesellschaft in Form eines kontinuierlichen Anwachsens der Zahl eingetragener Vereine – über 600.000 im Jahr 2016.
Insgesamt sind über 43 % der deutschen Bevölkerung ab 14 Jahren freiwillig engagiert ; ein steigender Wert bei gleichbleibender Motivationslage. Im Vordergrund stehen für alle freiwillig Engagierten der Spaß am Engagement, das Zusammensein mit anderen Menschen und die Gestaltung von Gesellschaft – hierin besteht ziemliche Überein-stimmung mit den Motiven von Jugendlichen für ihr Engagement.
Aktuelle Situation der Jugend und der Vereine: gesellschaftlicher Druck, Zeitdruck
Zum Ende ihres Vortrags erinnerte Riekmann daran, dass heutige Jugendliche aufgrund der in den letzten Jahren erfolgten Veränderungen im schulischen und hochschulischen Bereich verstärkt unter Druck stünden, Qualifizierungserwartungen zu erfüllen. Bei komprimierter Ausbildungszeit stehen weniger zeitliche Ressourcen für die Freizeitgestaltung – und damit auch das Engagement – zur Verfügung.
Zudem wies Riekmann auf das weiterhin vorhandene Bildungsgefälle beim Engagement hin. So haben Engagierte oft einen vergleichsweise hohen Bildungsabschluss bzw. streben ihn an.
Erschwerend kommt zu diesen Sachlagen hinzu, dass auch an Vereine durch aktuelle Entwicklungen zusätzliche Erwartungen gestellt werden – etwa im Bereich Versicherung, Aufsichtspflicht oder Projektorientierung. Natürlich sind gute Rahmenbedingungen für die Vereinsarbeit da weiterhin ein wichtiger Erfolgsfaktor.
Fazit
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Engagement in der jungen Generation nicht abnimmt, sondern teilweise flexibler und projektförmiger wird. Junge Menschen wollen ernst genommen werden und Selbstwirksamkeit erfahren. Dafür braucht es Orte und Gelegenheiten der Partizipation. Problematisch ist die große soziale Ungleichheit im Engagement: so fehlt jungen Erwachsenen mit geringerem Bildungshintergrund häufig die Zuversicht, dass ihre Fähigkeiten gebraucht werden und dass sie einen gesellschaftlich sinnvollen Beitrag leisten können. Umso wichtiger ist es, dass Vereine und andere gesellschaftlich engagierte Strukturen hier tätig werden, um ein Engagement zu fördern.
Der Vortrag von Prof. Dr. Riekmann lud zu einer angeregten Diskussion zwischen den Teilnehmenden ein – umsomehr, als auch Vertreter*innen der so intensiv betrachteten jungen Generation anwesend waren und ihre Erfahrungen, Wünsche und Ansichten direkt einbringen konnten.
Über uns
Die Festigung der Städtepartnerschaften in Nordrhein-Westfalen gemeinsam mit Kommunen und Zivilgesellschaft steht im Mittelpunkt unseres Projekts.