„Lösungen für die Zukunft: kommunale Energieautonomie in Saerbeck„
Energiesicherheit, Energiewende – dieses Thema treibt Verantwortliche in kommunaler Politik und Verwaltung um, und zwar nicht erst seit dem Pariser Klimaschutzabkommen, seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine, der Energiekrise, und dem besorgen Blick auf den nächsten Winter. Auch die immer weiter zunehmenden Extremwettereignisse – extreme Hitze, Überflutungen etc. – stellen Kommunen vor Herausforderungen, die in ihrer Globalität und Komplexität schwer anzugehen sind. Als Träger der Daseinsvorsorge sind Kommunen jedoch gefordert, für all diese Herausforderungen Lösungen direkt vor Ort zu entwickeln – und dies mit dem nötigen Weitblick.
Die Klimakommune Saerbeck hat sich besonders früh auf den Weg gemacht – eigenständig, ohne Blaupause, mit viel Pioniergeist und Hartnäckigkeit – energieautark zu werden. Die kleine Gemeinde im Münsterland (rund 7000 Einwohner) produziert heute mehr Energie als sie verbraucht. Wie es dazu kam, wo die Gemeinde heute steht, und welche Rolle internationale, kommunale Zusammenarbeit und Partnerschaften dabei gespielt haben, das war Gegenstand unseres 10. „Forums Städtepartnerschaften NRW“ mit Guido Wallraven, der seit 2009 als verantwortlicher Projektmanager die Klimakommune Saerbeck auf diesem Weg voranbringt.
Unter den drei großen Überschriften „Wo kommen wir her? – Wohin hat es uns gebracht – Wo wollen wir hin?“ zeichnete Guido Wallraven für eine aus Politik, Verwaltung und Vereinen bunt gemischte Zuhörerschaft die bewegte Geschichte der Saerbecker Visionäre nach.
Wo kommen wir her? – Vision: eigene Energieversorgung mit Erneuerbaren Energien
Angefangen hatte alles 2009 mit dem Ziel, bis 2030 eine eigene Energieversorgung aus erneuerbaren Energien auf die Beine zu stellen. Aus der Vision des damaligen Bürgermeisters, auch seiner Enkelgeneration ein lebenswertes Saerbeck zu hinterlassen und prinzipiell den nachfolgenden Generationen gute Lebensverhältnisse sicherzustellen, wuchs ein gemeinsames Projekt der gesamten Gemeinde. Die Verantwortlichen damals sahen das Projekt auch als Chance, eine Vision für das Zusammenleben in der eigenen Gemeinde zu formulieren, Identifikation und Zusammenhalt zu schaffen. Das integrierte Klimaschutzkonzept gründete darum auf interdisziplinäres Vorgehen, pragmatische Projekte und die Idee, dass die Bürgerschaft als solche aus den Projekten auch Gewinn ziehen würde. Bereits 2013 konnte das Ziel der rechnerisch eigenständigen Eigenversorgung beim Strom durch Erneuerbare erreicht werden. Der Weg begann mit einzelnen Schritten, angefangen bei der Nutzung von Solarenergie auf den Dachflächen, dann durch die „gläserne Heizzentrale“, einem Nahwärmenetz mit Holzpellets, und schließlich durch die Schaffung eines Bioenergieparks wurden Schritt für Schritt Leitprojekte in die Umsetzung gebracht. Grundelemente für den Erfolg waren: die Einbindung der gesamten Stadtgesellschaft von der ersten Idee an, eine umfassende begleitende Bildungs- und Weiterbildungsarbeit vom Kindergarten bis zur Seniorengruppe, der Mut, auch völlig neue Dinge zu wagen, und die Hartnäckigkeit, bei Rückschlägen einfach mit einem Plan B oder C weiterzumachen. Außerdem besonders wichtig: gerade die Bürger*innen wollten und sollten Anteil nehmen an den Projekten und davon profitieren, und zwar nicht nur im übertragenen Sinn, sondern ganz konkret: durch die Gründung einer Energiegenossenschaft fließen die Gewinne wieder zurück in die Bürgerschaft und können reinvestiert werden, zum Beispiel in die Bildungsarbeit der Schulen zum Thema Nachhaltigkeit.
Wohin hat es uns gebracht? Storytellung und Know How Transfer international
Soviel Pioniergeist blieb nicht lange unbemerkt. Waren es am Anfang die Saerbecker, die auf der Suche nach Modellprojekten und neuen Ideen durch die Lande fuhren, bekamen sie nun bald selbst Gäste, die sich ihre innovativen Projekte ansehen, sie gerne kopieren wollten. Über 120 000 Besucher verzeichnet die kleine Gemeinde mittlerweile – aus aller Herren Länder. So kam es zu einem regionalen, nationalen und internationalen Know-How-Transfer, der immer größere Dimensionen annahm. Heute geben sich unter anderem amerikanische, japanische, jordanische Delegationen in Saerbeck die Klinke in die Hand, Anfragen kommen aus Brasilien, Dänemark, Südafrika, den Niederlanden und vielen mehr. Dabei bleiben die Kommunalvertreter keineswegs unter sich: die Zusammenarbeit mit lokalen Unternehmen, mit Universitäten, Schulen, Vereinen hatte von Anfang an Methode. So entstand in Zusammenarbeit mit dem Institute on the Environment der University of Minnesota ab 2014 das Projekt „Climate Smart Municipalities“ (CSM), in dem sich seitdem je sechs Städte aus NRW und Minnesota monatlich zu klimapolitischen Fragen austauschen und regelmäßig besuchen. Auch die Saerbecker haben durch die internationalen Partnerschaften gelernt: etwa durch die amerikanischen Partner einen schnelleren und unbürokratischeren Zugang zu Ressourcen; auch der pragmatischere Zugang zur Wirtschaft in den USA war inspirierend. Überhaupt, so Wallraven, funktioniert das Weitergeben von Ideen und Visionen am besten durch den zwischenmenschlichen Kontakt. Und wenn heute in Uchibori nahe Fukushima eine „gläserne Heizzentrale“ steht, oder in Morris in Minnesota ein neuer Energieerlebnispfad das Licht der Welt erblickt, dann danken die Menschen dort es den Saerbecker Pionieren, die ihre kreativen Ideen freigebig mit allen Besuchern teilen. Denn, und das ist Guido Wallraven besonders wichtig: alle Kommunen müssen eine Lösung finden für die globalen Herausforderungen von Klimawandel und Energiewende.
Wo wollen wir hin? – Ganzheitliche Lösungen und neue Herausforderungen: Wärmewende, Verkehrswende
Die Reise ist jedoch noch lange nicht zu Ende. So denkt Saerbeck nicht nur intensiv über Energiespeicherkonzepte und Konzepte der dezentralen Energieversorgung nach. Seit Anfang 2022 hat die Gemeinde zudem die nächste große Baustelle in Angriff genommen – die Wärmewende. Auch die Mobilitätswende steht noch an. Dabei kann sich Saerbeck an den positiven Konzepten der Vergangenheit orientieren. So startete die Wärmewende, genauso wie die Energiewende, in Saerbeck mit einem Bürgerdialog, in dem alle relevanten Stakeholder, vom Bauhandwerk über die Landwirtschaft und die Unternehmen bis hin zu den Vereinen mit im Boot sitzen, um konkrete Maßnahmen zu erarbeiten. Nach der größten Herausforderung dabei gefragt, nennt Guido Wallraven all die Keller und Fahrzeuge der Menschen, die nun ihre Heiz- oder Fahrgewohnheiten auf die neuen Herausforderungen ausrichten und umstellen müssten. Während die Kommune bei der Energiewende mit den bisherigen Projekten die Fäden in der Hand behielt, ist bei der Wärme- und der Mobilitätswende nun jeder Einzelne gefordert, selbst seine Hausaufgaben bei der eigenen Wohnung und dem eigenen Fahrzeug zu machen. Und: diese Umstellung kann man nicht einfach so durchboxen, die geht nur mit viel Fingerspitzengefühl und Verständnis, so Wallraven. Dass die Strategie jedoch erfolgreich ist, zeigt sich auch in der wirtschaftlichen Entwicklung Saerbecks. Die Ansiedlung eines Herstellers von Elektrolyseuren bringt nicht nur den nächsten technischen Schritt Richtung Wasserstoff vorwärts, sondern auch neue Arbeitsplätze nach Saerbeck.
Staatliche Förderung und Unterstützung: NRW.Energy4Climate
Das Potenzial der Saerbecker Lösungen wurde dabei von Anfang an auch von staatlicher Seite gesehen und gefördert. So kam die erste Finanzierung, 1,1 Mio Euro für die Umsetzung des Klimaschutzkonzepts, aus dem Preis der „Klimakommune NRW“, auf den sich Saerbeck 2009 erfolgreich beworben hatte. Die Landesgesellschaft NRW.Energy4Climate (https://www.energy4climate.nrw) unterstützte das Projekt der „Climate Smart Communities“ bereits in ihrem Vorgängerformat, als Klimaagentur NRW, bei Delegationsreisen und mit fachlichem Input.
Für Kommunen mit Nachhaltigkeitsprojekten bietet die Landesgesellschaft NRW.Energy4Climate heute verschiedene Unterstützungsleistungen an, so die Projektmanagerin für Internationale Kooperationen Jung Lin:
Mit den vier inhaltlichen Fachbereichen Energiewirtschaft, Industrie & Produktion, Wärme & Gebäude sowie Mobilität verfügt NRW.Energy4Climate über einen Pool von Fachexperten, an die sich Kommunen wenden können. Besonders relevant sind zudem die Querschnittsbereiche der Internationalen Kooperation und des Kommunalen Klimaschutzes. Die „Klimanetzwerker“ sind vor Ort in den Regionen für die Kommunen ansprechbar, und ein Fördernavi lotst durch das große Angebot von Fördermitteln. Newsletter und Artikel sowie Veranstaltungen für Fachaustausch und Vernetzung wie der Kommunalkongress NRW 2022 (https://www.energy4climate.nrw/service/event-detail/kommunalkongress-2022) runden das Angebot ab.
Austausch
Bei der folgenden Diskussion kristallisierte sich heraus, dass die Herausforderungen heute – geopolitische Lage, klamme Finanzlage der Kommunen, Energiekrise, Personalmangel, Ressourcenknappheit und damit einhergehende massive Verteuerung etc. – zwar immens sind, aber das Beispiel von Saerbeck als Inspirationsquelle und Motivation für alle Zuhörenden taugt: genauso wie 2009 Konzepte ausprobiert wurden, die damals neu waren, heute jedoch in aller Munde sind – etwa Stichwort Wärmepumpe – kann mit Mut und Pioniergeist gemeinsam mit den kommunalen Partnern weltweit an den Lösungen von übermorgen gearbeitet werden. Diese großen Herausforderungen können nur gemeinsam international bewältigt werden und dafür braucht es den internationalen thematischen Austausch.
–> Präsentation von Guido Wallraven, Projektmanager der Klimakommune Saerbeck
Über uns
Die Festigung der Städtepartnerschaften in Nordrhein-Westfalen gemeinsam mit Kommunen und Zivilgesellschaft steht im Mittelpunkt unseres Projekts.