Interview mit Honorarkonsulin Anduena Stephan

Frau Anduena Stephan, Honorarkonsulin der Republik Albanien, gehört zu den Pionieren der Zusammenarbeit zwischen Albanien und NRW. Mit ihrer 25-jährigen Berufserfahrung sowohl in Albanien als auch in Deutschland, überwiegend in NRW, verkörpert Frau Stephan, die in Albanien geboren und aufgewachsen ist, ein Beispiel erfolgreicher bilateraler Zusammenarbeit und Verständigung. Die Netzwerkstelle hat Frau Stephan um ein Portrait ihres Landes gebeten.

Was ist das Besondere an Albanien?

Albanien ist eine antike, mediterrane Liebe, die neu entdeckt wird. Damit habe ich vielleicht einen großen Spagat über mehr als 20 Jahrhunderte gemacht, nur entspricht dies der Wahrheit. Nirgendwo in Europa und auf so kleiner Fläche sind so viele Zeugnisse europäischer Geschichte heute noch spürbar und greifbar. Die ältesten Funde in Albanien datieren auf mehr als 3000 Jahre zurück. Selbst heute noch feiert man in Albanien das älteste heidnische Fest, das Frühlingserwachen, in der ureigenen Form. Dieses besondere Fest ist ein Vorreiter aller christlichen und nicht christlichen Rituale, die wir heute in Westeuropa als Ostern feiern. Mitte März, also kurz vor der Tagundnachtgleiche, feiern die Albaner den Beginn des Sommers. Trotz des „Alters“ ist dieser Tag für die Albaner gleichwertig wie das katholische und orthodoxe Osterfest sowie der Bajram und Nevruztag im islamischen Glauben.

Das bringt uns zur Besonderheit Nummer 2: Die albanische religiöse Toleranz ist einmalig in Europa. Denn die Religion der Albaner ist „Albaner sein“, also unsere nationale Identität. Dabei spielt keine Rolle, zu welcher der beiden großen Religionen im Land man sich zugehörig fühlt.

Besonderheit Nr. 3 ist die Gastfreundschaft der Albaner: Jeder der in Albanien als Gast war, weiß das sehr zu schätzen und freut sich auf diese Freundschaft. Albaner ehren den Gast: „Das Haus der Albaner gehört dem Freund und Gott“, sagt ein altes albanisches Sprichwort.

Besonderheit Nr. 4 ist die unangefochtene westliche Orientierung Albaniens. Auch in den dunkelsten Stunden Albaniens blickte das Volk gen Westen, denn für Albanien geht die Sonne im Westen auf. So war es während der mehr als 500 Jahre ottomanische Besatzung und auch in den 50 Jahren der Diktatur. Albaner sind überzeugte und sehr aktive Europäer. Die älteste europäische „Autobahn“, die Via Egnatia, ging und geht auch heute quer durch Albanien und diente und dient immer noch als wichtigste Verbindungsbrücke zwischen Westen und Osten. Albanien ist ein EU-Beitrittskandidat und wir sind zuversichtlich, dass die Verhandlungen bald und zügig voranschreiten werden.  

Besonderheit Nr. 5 Albanien ist ein friedliches Land und hat nie Kriege geführt! Heute ist Albanien ein NATO Mitglied und sitzt im Sicherheitsrat der UNO. Die letzten Ereignisse in der Ukraine haben deutlich gemacht, wie wichtig die Rolle Albaniens werden kann und welch einen Beitrag auch kleine Länder in solchen kritischen Momenten leisten können.       

Was sind die häufigsten Vorurteile, die Ihnen zu Albanien begegnen?

Albaner sind eher die Exoten unter den Süd-Europäern. Sie werden häufig neugierig betrachtet, denn die lange Isolation in der Diktatur hat dazu geführt, dass viel zu wenig Menschen in Deutschland etwas über Albanien wissen. Nun, als Migrant begegnet der Albaner den gleichen Vorurteilen wie viele andere Bürger ausländischer Herkunft auch.       

Welche Anknüpfungspunkte haben wir in NRW mit Albanien, was macht einen Austausch mit dem Land spannend und lohnend?

NRW ist das Bundesland mit der höchsten Handelsbilanz mit Albanien. Rund 33% der Importe und Exporte zwischen Albanien und Deutschland haben als Herkunfts- und/oder Zielregion NRW.

Darüber hinaus leben und arbeiten hier mehr als 130.000 Bürger albanischer Herkunft. Sie sind als Gastarbeiter aus dem Kosovo und Nord Mazedonien in den 60-ger Jahren nach NRW gekommen, als Asylbewerber aus Albanien nach dem Ende der Diktatur oder gar als Kriegsflüchtlinge während des Kosovo-Krieges. Inzwischen registrieren wir eine erhöhte Zahl von albanischen Fachkräften in NRW, insbesondere im Gesundheits- und Logistiksektor. Das nennen wir eine Familienmigration, denn die Fachkräfte wandern samt Frau und Kinder nach NRW. Es ist natürlich für Albanien ein schmerzhafter brain-drain Prozess, umso wichtiger sind daher zielgerichtete Strategien und Projekte, um den Austausch zu stärken und die Diaspora in den Mittelpunkt dieses Austausches zu setzten. 

Und wie blickt man eigentlich in Albanien auf Deutschland und die Deutschen?

Deutschland ist für die Albaner das europäische Land mit der stärksten Wirtschaft, ein Ankerpunkt der EU und ein Wegweiser. Deutsche Güter sind Qualitätsgüter, deutsche Arbeitsdisziplin ist ein Maßstab. Deutsche Sprache allerdings, bleibt eine Herausforderung! Nun auch hier haben Albaner weniger Probleme als andere Migranten, denn die albanische Sprache kommt ihnen zur Hilfe. Als die älteste europäische Sprache und als die einzige phonetische Sprache in Europa mit 36 Buchstaben im Alphabet, gelingt es fast jedem Albaner schnell alle möglichen Klangkombinationen beinah akzentfrei auszusprechen und die Grammatik im Nachhinein zu verinnerlichen.

Wir danken Ihnen für dieses Gespräch!

Die Fragen stellte Beate Brockmann, Referentin der Netzwerkstelle Städtepartnerschaften

Fotos: Anduena Stephan

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Veröffentlicht von Netzwerkstelle Städtepartnerschaften

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